Besteht Fluchtgefahr bei einem nicht – vorbestraften Asylbewerber hinsichtlich Untersuchungshaft?
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in einem Beschluss aus dem Oktober 2021 mit dem Untersuchungshaftgrund der Fluchtgefahr beschäftigt. Das Gericht musste darüber entscheiden, ob eine Fluchtgefahr bei einem Asylbewerber bestand, welcher als Ersttäter eines einzelnen Diebstahles beschuldigt wurde und sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufhält.
Die Richter entschieden, dass keine Untersuchungshaft seitens der Staatsanwaltschaft beantragt werden darf. Das Landgericht bestätigte somit die Entscheidung des erstinstanzlichen Amtsgerichtes. Zwar ist davon auszugehen, dass derAsylbewerber in seiner Erstaufnahmeeinrichtung keinen Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB begründet hat, dennoch könne der Haftbefehl nicht erlassen werden.
Die von der Staatsanwaltschaft angenommene Fluchtgefahr bedarf bestimmter Tatsachen, welche bei der Würdigung aller Umstande des Falles einen Anschein erzeugen müssten, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen würde, als dass er sich stellen würde.
Erstaufnahmeeinrichtung ist zwar kein Wohnsitz, dennoch ähnelt es einem solchen
Diese Annahme könne man aber, nur weil der Asylbewerber in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht ist, nicht pauschal bejahen. Zwar gilt diese nach dem deutschen BGB nicht als Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB, das ist für das Strafverfahren in einer solchen Situation jedoch unerheblich. Vorrangig ist hier, dass eine zügige und geordnete Durchführung des Verfahrens notwendig ist, was jedoch keinerlei Maß an Ortsstabilität verlangt. Es würde eine Hürde darstellen, wenn der Mann obdachlos und beispielsweise nicht auffindbar wäre, auf dem Postweg ist er jedoch durch eine Adresse der Aufnahmeeinrichtung jederzeit erreichbar und somit auch für das Gericht „greifbar“.
Sie halten sich in der Einrichtung nachweislich auf, haben dort Schlafplätze und eigene Spinde. Die Kammer geht aufgrund telefonischer Auskunft der Erstaufnahmeeinrichtung im Übrigen von folgenden tatsächlichen Gegebenheiten aus: Die Bewohner sind dort registriert und bestimmten Zimmern als Wohnplatz zugewiesen. Eingehende Post wird zentral in der Einrichtung gesammelt und erfasst. Bewohner, für die Post eingegangen ist, werden mit Namen in eine aushängende Liste eingetragen. Sie können dann die Post bei der Ausgabe abholen. Wird ein Poststück nach zwei Tagen immer noch nicht abgeholt, sucht der Sicherheitsdienst – gegebenenfalls wiederholt – nach dem Bewohner und informiert ihn persönlich darüber, dass Post für ihn bereitliegt. Wird der Adressat auch nach einer Woche nicht aufgefunden oder angetroffen, geht das Poststück an den Empfänger als unzustellbar zurück.
Somit ist seitens der Justiz ein ausreichender Spielraum vorhanden, den Beschuldigten zu erreichen.
Ein weiterer Einwand seitens der Staatsanwaltschaft, dass die fehlenden sozialen Bindungen im Inland ein Indiz für eine erhöhte Fluchtgefahr darstellen, wurde sowohl vom erstinstanzlichen Amtsgericht als auch vom Landgericht Nürnberg-Fürth abgelehnt.
Letztendlich war die Entscheidung des Amtsgerichts fehlerfrei. Der Haftbefehl wurde rechtmäßig nicht erlassen.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 26.10.2021 – 12 Qs 75/21
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht