Totschlag durch Unterlassen von Hilfsmaßnahmen – Garantenpflicht trotz zerrütteter Familienverhältnisse?

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Der Bundesgerichtshof musste im Herbst 2016 darüber entscheiden, ob ein Kind den Totschlag durch Unterlassen gegenüber seiner Mutter verwirklicht hat, obwohl die beiden in zerrütteten Familienverhältnissen gelebt haben.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Tochter und Mutter leben und wohnen in einem gemeinsamen Haushalt, obwohl sie ein schwieriges Verhältnis zueinander pflegen. Die Mutter ist stark alkoholkrank und kann aufgrund ihrer Sucht nicht mehr aktiv am sozialen Leben teilnehmen. Monatelang habe Sie auf dem gemeinsamen Sofa in der Wohnung „dahinvegetiert“ und sich psychisch aufgegeben. Dies führte dazu, dass Sie jegliche Mahlzeiten verweigerte und dadurch einen erheblichen Gewichtsverlust erlitt, wobei Sie zum Zeitpunkt ihres Todes noch 26 Kilogramm gewogen habe.

Der Tod der Mutter geschah in ständiger Betrachtung der 18-jährigen Tochter, welche aufgrund der jahrelangen Vernachlässigung aufgrund der Alkoholsucht ihrer Mutter nicht eingriff und laut den erhobenen Beweisen des Tatgerichts deren Tod billigend in Kauf nahm. Es folgte eine Verurteilung aufgrund der Tötung durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB.

Dagegen wandte sich die Tochter mit einer Revision zum Bundesgerichtshof. Ein sogenanntes unechtes Unterlassungsdelikt nach § 13 Abs. 1 StGB kann nur von Personen erfüllt werden, welche gegenüber dem Opfer besondere Verhältnis – und Schutzpflichten hegen, die sogenannte „Garantenpflicht“. Eine solche ist unter normalen Umständen zwischen Mutter und Tochter zu bejahen, da dies als „enge Lebensbeziehung“ gedeutet werde und zudem familienrechtliche Aspekte dazukommen, welche eine solche Pflicht begründen.

Aufgrund des zerrütteten Familienverhältnisses zwischen Tochter und Mutter argumentierte die Tochter jedoch, dass Sie sich in keiner Weise für ihre Mutter verantwortlich fühlte und aufgrund der vorangegangenen schweren Familienzeit auch kein Verhältnis mehr mit ihr pflegte. Aufgrund dieser Umstände könne ihr keine Garantenpflicht unterstellt werden, welche die Verurteilung zu einem Totschlag durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB rechtfertige.

Der Bundesgerichtshof sah diese Garantenstellung der Tochter trotz der schwierigen Familienverhältnisse als erfüllt an und bestätigte somit das Urteil des Landgerichts. Die Richter aus Karlsruhe begründeten dies wie folgt:

Auch wenn kein gutes Blut zwischen den Familienmitgliedern herrschte und das Verhältnis nicht von gegenseitigem Vertrauen und Zuneigung geprägt war, so begründe der gemeinsame Haushalt der Beiden und die direkte Verwandtschaft ersten Grades eine Schutzpflicht aus § 1618a BGB. Dieser Paragraph aus dem Familienrecht besagt, dass sich Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Ein solcher Grundsatz aus dem Zivilrecht lasse sich laut der Richter auch problemlos in das Strafrecht übertragen und begründet im vorliegenden Fall die Garantenstellung der 18-jährigen Tochter.

Diese hat sich somit durch das Nichtergreifen von Hilfsmaßnahmen gegenüber ihrer Mutter zu einem Totschlag durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2016 – 3 StR 248/16 –

Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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