„Berliner-Zwillingsfall“ – Tötung eines schwer geschädigten Säuglings ist als Totschlag zu werten

 In Veröffentlichungen

Der Bundesgerichtshof hat zum Ende des Jahres 2020 nun über ein lang-debattierten Fall per Beschluss entschieden und somit das Urteil sowie die Sanktion des vorinstanzlichen Berliner Landgerichts weitestgehend verworfen. Demnach soll die Tötung eines geschädigten Zwillings nach der Geburt nicht als Totschlag in einem minder schweren Fall behandelt werden. Es käme in einem solchen Fall keine Strafminderung in Betracht.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Frau war mit Zwillingen schwanger. Während dieser Schwangerschaft entwickelten sich gesundheitliche Probleme seitens eines der Zwillinge. Dieser erlitt daraufhin schwere Hirnschäden, welche ihm ein normales Leben nicht mehr ermöglicht hätten und dieser dauerhaft geschädigt bleiben würde. Nach einer ausführlichen Beratung mit dem behandelnden Frauenarzt wurde seitens des geschädigten Zwillings eine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch hinsichtlich des geschädigten Zwillings im Sinne des § 218a Abs. 2 StGB gestellt. In besonders schweren Fällen kann eine solcher Schwangerschaftsabbruch straffrei bis zur Geburt vorgenommen werden. Problematisch ist jedoch, dass damit automatisch auch ein sehr hohes gesundheitliches Risiko für den gesunden Zwilling mit dem Eingriff einhergeht.

Zur Tatzeit im Jahre 2010 wurde eine solche Behandlung nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken ausgeführt. Nach längerer ärztlicher Betreuung hatte die Mutter bereits den Entschluss gefasst, den Eingriff des „selektiven Fetozid“ durchführen zu lassen, fühlte sich jedoch in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik nicht ausreichend betreut, so dass sich diese kurzfristig gegen die geplante Operation entschied.

Daraufhin wandte sie sich an die Angeklagte, welche als leitende Oberärztin in einer Klinik für Geburtsmedizin tätig war. Als Alternative gegenüber dem risikobehafteten Eingriff schmiedeten die Mutter sowie die Ärztin den Plan, dass sie das gesunde Kind erst mittels eines Kaiserschnittes zur Welt bringen würden und im unmittelbaren Anschluss den schwer geschädigten Zwilling mittels einer Injektion mit Kaliumchlorid töten. Das Vorgehen wurde wie geplant durchgeführt. Dabei waren sich die Beiden bewusst, dass Sie sich in der Situation über geltendes Recht hinwegsetzen und einen Menschen im Sinne des Strafgesetzbuches töten.

Aufgrund eines anonymen Tipps begann die Staatsanwaltschaft in diesem Fall zu ermitteln.

Das Landgericht Berlin hat die beiden Angeklagten wegen Totschlages in einem minder schweren Fall zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wandten diese sich mit einer Revision zum Bundesgerichtshof.

Die Richter des Bundesgerichtshofes haben die Revision der Angeklagten überwiegend verworfen und den Schuldspruch wegen des gemeinschaftlichen Totschlags in Mittäterschaft nach §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB bestätigt. Das Gericht betonte, dass es sich hierbei um ein vollumfängliches Tötungsdelikt handele und man sich trotz des eingeschränkt lebensfähigen und schwer geschädigten Zwillings nicht in dem Bereich eines Schwangerschaftsabbruches befinde.

Obwohl die Strafmilderung seitens des BGH fallen gelassen wurde, so wurden die verhängten Strafen des Landgerichts erstmal aufgehoben, da den Angeklagten zur Last gelegt wurde, dass diese die Tat ausführlich geplant und nicht in einer Notfallsituation begangen haben, wie es die Richter des BGH beurteilten. Trotz der Bestätigung des Schuldspruches bezüglich des Totschlagsdelikts wird deshalb erneut an das Landgericht Berlin verwiesen, welches ein neues Strafmaß verkünden muss.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.11.2020 – 5 StR 256/20 –

Hinweis:

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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