Bußgeld- oder Strafverfahren wegen Ausgangsbeschränkungen in Zeiten der Covid-19-Pandemie?
Seitdem Vorreiter Bayern ab dem 20.03.2019 eine offiziell „gelockerte“ Ausgangssperre gegenüber seinen Bürgern verhängt hat, herrscht Unsicherheit in der Gesellschaft, was denn noch erlaubt ist und was gegen das Infektionsschutzgesetz verstößt und eventuell auch Bußgeldbescheide oder sogar Strafbefehle nach sich ziehen kann.
Aufgrund des föderalistischen Systems der sechzehn Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland müsse man sich in jedem Bundesland an die eigenen, eventuell unterschiedlichen Regelungen der Ausgangsbeschränkungen halten, was für einen „Ottonormalverbraucher“ schier unmöglich erscheint.
Was im Herbst 2019 noch als unmöglich angesehen wurde, ist heute bittere Realität. Jedoch ist fraglich, ob der Staat solch starke Eingriffe in die Grundrechte der Bürger überhaupt auf das IfSchG stützen könne? Allein die Anordnung häuslicher Quarantäne greife stark in Art.2 Abs. 2 Satz 2 GG ein, die Vermeidung sozialer Kontakte schneide in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. An Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ist zurzeit nicht zu denken, Gastronome und Hotelbesitzer haben keine Möglichkeit mehr, ihre Arbeit wirksam auszuüben, was einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG begründet.
Die Bürger fragen sich, ob ein solch immenser Eingriff in diverse Grundrechte vom Staat überhaupt angeordnet werden darf? Dies wird aktuell scharf diskutiert. Die Verordnungen der Bundesländer zur Abwehr des Coronavirus müssen demnach einer Ermächtigungsgrundlage entspringen sowie auch rechtmäßig sowie verhältnismäßig sein.
Die Ermächtigungsgrundlage der Rechtsverordnungen der einzelnen Bundesländer sei wohl § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes, wonach die Behörde „notwendige Maßnahmen“ ergreifen darf, soweit und solange diese zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
Hier ist demnach schon strittig, ob eine einzelne Ermächtigungsgrundlage wie § 28 Abs. 1 IfSG in der Lage ist, eine komplette Nation zum Stillstand zu bringen. Viele Stimmen führen demnach die Unbestimmtheit der Grundlage in Abwägung zu den schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte der Bürger ins Feld. Als Grundsatz ist bekannt, dass eine Norm je ausführlicher begründet diese erscheint auch intensivere Eingriffe in Grundrechte zulasse, da durch diese Feinheiten die Abstraktheit der Gesetzesnorm zerschlagen werde und eine höhere Anzahl an „Einzelfällen“ geregelt werden könne. Das im juristischen Fachjargon unter „Bestimmtheitsgebot“ bekannte Prinzip ist aus den Leitsätzen der Rechtsstaatlichkeit der BRD nach Art. 20 Abs. 3 GG abzuleiten. Jedoch sind alle Argumentationen, den Bestimmtheitsgrundsatz zu schützen, an den Verwaltungsgerichten gescheitert (Bsp.: VG Göttingen, Beschl. v. 20.03.2020 – 4 B 56/20; VG Minden, Beschl. v. 02.04.2020 – 7 L 272/20; VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschl. v. 02.04.2020 – 4 L 333/20). In diesen Fällen wird seitens der Verwaltungrichter argumentiert, dass eine solche Ausnahmesituation auch etwaige Erfordernisse des Bestimmtheitsgebotes zurücktreten lassen müsse, um das Leib und Leben anderer Menschen ausreichend zu schützen.
Des Weiteren ist fraglich, ob die Maßnahmen in ihrer Gesamtabwägung als verhältnismäßig einzustufen sind. Diesem Grundsatz müssen alle Corona-Verordnungen unterliegen. Die Verhältnismäßigkeit setzt sich aus 4 Stufen zusammen:
Die Regelung muss einen legitimen Zweck verfolgen, welcher bei der Corona-Pandemie wahlweise der Gesundheitsschutz der Bevölkerung als auch die Verringerung des Infektionsrisikos darstellt.
Zusätzlich müssen die Regelungen geeignet sein, den legitimen Zweck zu erreichen. Covid-19 besteht jedoch erst seit Dezember 2019 und ist demnach weitestgehend unerforscht, demnach kann noch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Maßnahmen, welche zurzeit von der Regierung unternommen werden, auch tatsächlich im juristischen Sinne dazu geeignet sind, den legitimen Zweck zu pflegen. Aufgrund diesen Umstandes sind die Regierung sowie auch die Landesregierung in der Pflicht, ständige Überprüfungen über den Fortgang des Virus durchzuführen. Nach heutigem Stand der Wissenschaft kann man jedoch davon ausgehen, dass die Maßnahmen dazu geeignet sind, das Ausbreitungsrisiko der Pandemie effektiv einzudämmen.
Eine weitere Hürde der Verhältnismäßigkeit stellt das Merkmal der „Erforderlichkeit“ dar. Diese ist nur zu bejahen, wenn sie die mildeste Maßnahme unter allen gleich geeigneten Mitteln darstellt. In dieser Hinsicht ist ähnlich wie in der Geeignetheit vom aktuellen Wissenschaftsstand auszugehen. Solange dieser noch keine neuen, bahnbrechenden Erkenntnisse geliefert hat, müsse auf den Umstand eingegangen werden, dass der legitime Zweck hinreichend erfüllt werden kann. Man hat zum jetzigen Zeitpunkt, welcher wohl den Höhepunkt der Pandemie darstellt, wohl kein milderes Mittel als Ausgangsbeschränkungen zur Verfügung, um weitere Tröpfcheninfektionen zu vermeiden. Demnach sei auch die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkungsverordungen erfüllt.
Letztendlich wird die Verhältnismäßigkeit vom Merkmal der Angemessenheit getragen. An dieser Stelle erfolgt eine Abwägungsentscheidung der betroffenen Güter. Hier müsse demnach Gesundheit in Form von Leib und Leben nach Art. 2 Abs. 2 GG mit den restlichen, betroffenen Grundrechten abgewogen werden. Diese Abwägung muss letztendlich vom Gericht geprüft werden, in letzter Instanz ist in diesem Fall das Bundesverfassungsgericht zuständig. Aufgrund aktueller Weiterentwicklung der Situation und auch etwaiger Hindernisse im Justizfortgang ist eine endgültige Entscheidung dieser Rechtsfrage wohl noch in sehr weiter Ferne.
Ein Anhaltspunkt liefert jedoch der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 26.03.2020. Dort hatte ein bayerischer Bürger gegen die erlassene Ausgangsbeschränkungen Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil er sich zu stark in seinen Grundrechten eingeschränkt fühlte. In einer einstweiligen Anordnung des BayVerfGH hat dessen Präsident jedoch in freier richterlicher Abwägung entscheiden, dass es zu dem Zeitpunkt des Beschlusses noch nicht absehbar ist, wie effektiv die Maßnahmen gegen die Bekämpfung des Viruses sind. Die mit der Ausgangsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriffe seien zwar extrem tiefgreifend, jedoch ist nach aktuellem Anlass der Schutz der Allgemeinbevölkerung über die Individualinteressen eines Einzelnen zu stellen. Die Beschwerde wurde demnach im Eilverfahren abgelehnt.
Die Vielzahl an Gerichtsentscheidungen spiegelt im aktuellen Zeitpunkt die Unsicherheit und Unwissenheit der Justiz wieder. Die Corona-Verordnungen sind mit unbestimmten Rechtsbegriffen nahezu übersäht, was willkürliche Entscheidungen der kontrollierenden Ordnungs – und Polizeibehörden provoziert.
Falls Sie den schwammigen Corona-Regelungen „zum Opfer gefallen“ sind, sollten sie schnellstmöglichst einen Anwalt konsultieren, welcher ihnen durch detaillierte Akteneinsicht die Chancen einer Verteidigung offenlegen kann. Die Rechtsprechung hat sich zu Zeiten der Corona-Krise noch nicht eingeschwungen und keinen gleichen Nenner gefunden. Demnach ist eine Verteidigung gegen Ihren Bußgeldbescheid, oder gar Strafbefehl durch einen Anwalt unabdingbar und auch sinnvoll.
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gerne im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Strafrecht