Bedienung des Navigationssystems bei Tempo 200 = grob fahrlässig?
Im Jahre 2017 hatten die Richter des OLG Nürnberg einen skurrilen Fall der Unfallschadensregulierung zu erörtern. Der Beklagte verlor die Kontrolle eines gemieteten Sportwagens, als er sich bei Tempo 200 km/h dem üppigen Infotainment-System der Luxuskarosse zuwandte. Die Autovermietung als Klägerin beruft sich auf grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten. Dieser streitet jegliches Verschulden ab.
Der Rechtsstreit begann mit der Tatsache, dass sich der Beklagte bei der klagenden Autovermietung einen Mercedes CLS 63 AMG (550 PS) mietete. Nach dem Unfall ließ er sich demnach ein, dass er bis soeben keinerlei Erfahrungen mit solchen Sportwägen hatte, sondern lediglich eine ausgedehnte Probefahrt absolvieren wollte. Während dieser Fahrt beschleunigte er den Wagen auf ca. 200 km/h und erkundete simultan die zahlreichen Funktionen des sogenannten „Infotainmentsystems“ (Navi).
Aufgrund mangelnder Erfahrung musste er für eine verständliche Bedienung des Systems seinen Blickwinkel weitestgehend auf das Anzeigedisplay richten und vernachlässigte demnach die Straßenführung. Dabei kam er von der Fahrbahn ab und stieß gegen die Mittelleitplanke, wodurch ein Karosserieschaden von ca. 12.000 EURO entstand. Der zugrundeliegende Mietvertrag enthält Nachbildungsklauseln einer Haftpflichtversicherung für solche Fälle, die Beteiligung schließt sich jedoch prozentual aus, sobald vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden kann. Auf dieses grob fahrlässige Handeln beruft sich die klagende Autovermietung, mit dem Ziel, die Hälfte der Schadenssumme auf den Beklagten abzuwälzen.
Die Richter des Oberlandesgerichts Nürnberg folgten dieser Auffassung unter zahlreichen Argumenten.
Demnach stellt Tempo 200 in einem Kraftfahrzeug eine Geschwindigkeit dar, welche jenseits der empfohlenen Richtgeschwindigkeit liegt und extrem erhöhte Sorgfaltspflichten mit sich bringt, um den Straßenverkehr nicht zu gefährden. Diese Sorgfaltspflicht drückt sich meist dadurch aus, dass die eigene Aufmerksamkeit in besonderem Maße unter voller Konzentration auf das aktuelle Verkehrsgeschehen gerichtet sein muss.
Aufgrund der mangelnden Erfahrung mit dem Fahrzeugtyp und dem damit einhergehenden „Infotainmentsystem“ kann bei solchen derartigen Geschwindigkeiten der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründet werden, da allein die weitgehende Blickabwendung vom Straßengeschehen bei diesem Tempo den Durchschnittsnutzer derart überfordert, dass dieser das Vehikel nicht mehr unter voller Konzentration führen kann. Diese Handlung rechtfertige auch den zumindest teilweisen Verlust der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrages.
Letztendlich sei auch das Vorhandensein eines sogenannten Spurhalteassistenten unbeachtlich, denn dieser könne den entsprechenden Schuldvorwurf zumindest bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht mehr beschränken, da bei steigendem Tempo dessen Funktionalität eingeschränkt werde.
Im Ergebnis folgten die Richter des OLG Nürnberg dem Klagebegehren der Autovermietung und verurteilten den Kläger zur hälftigen Zahlung der Schadenssumme aufgrund der Ausnahmeklausel im Mietvertrag.
OLG Nürnberg, Endurteil v. 02.05.2019 – 13 U 1296/17
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Strafrecht